Le Pen trat das politische Erbe ihres Vaters an, der 1972 die Front National gründetet und, bis 2011 Vorsitzender der Partei blieb. In seiner politischen Laufbahn machte Marines Vater einige Aussagen, für die er verurteilt wurde und öffentlich als Antisemit bzw. Rassist galt: Die Machtergreifung Hitlers sei demokratisch gewesen, die Nazi Gaskammern nur ein Detail der Geschichte, er glaube an die Ungleichheit der Rassen und bald würden Franzosen vor den Muslimen in Frankreich nur noch kuschen müssen.1 Die Rassismusvorwürfe wurden von Marines Mutter, Pierrette Le Pen in einem 1998 erschienen Video Interview mit Karl Zéro befeuert: «Meine Töchter wurden im puren Antisemitismus, im Rassismus großgezogen». Wenn Adolf Hitler im Fernsehen zu sehen war, mussten die Töchter ihn „Onkel Dolfie“ nennen, sagte Pierrette.2 2015 sorgte die Tochter dafür, dass ihr Vater aus der Partei ausgeschlossen wird. 2018 benannte sie die Partei von Front National in Rassemblement National (Nationale Versammlung) um.
Das Wirken der Nazi-Jäger Klarsfeld
Die Holocaustüberlebenden Serge und Beate Klarsfeld, die den „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie aufspürten und als Nazi-Jäger berühmt wurden, warnten bis 2023 vor der Front National, die sich 2018 in Rassemblement National umtaufte. Im April 2022 freute sich Serge Klarsfeld zwar über Macrons Wahlsieg und bedauert im selben Atemzug, Marine Le Pens 40 % Ergebnis. 3 Im Oktober 2022 startete die Wende. Serge Klarsfeld nahm die Ehrenmedaille der Stadt Perpignan entgegen, die ihm der Bürgermeister Louis Aliot von der RN übergab. Klarsfeld begründetet dies mit den Worten: «Wenn ich in der extremen Rechten eine Entwicklung sehe, wenn ich Leute sehe, die sich unseren Werten anschließen wie Louis Aliot, die das Gedenken an die Schoa respektieren, dann kann ich das nur konstatieren» 4 Schockiert nahm es die Öffentlichkeit zur Kenntnis: „Umstrittene Auszeichnung, Ritterschlag für die französische Rechte.“ 5 Dass sich Rechtspopulisten judenfreundlich geben, um darüber mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen, ist nichts Neues, doch die Annahme von Auszeichnungen schon.
Im September 2023 hatte Le Pen eine Beliebtheit erreicht, dass sich die SPD Parteizeitung „vorwärts“ damit beschäftigte. Unter dem Titel: „Wie Marine Le Pen und die Rechtsextremen in Frankreich hoffähig werden“ heißt es: «Die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich findet zwar erst 2027 statt, doch die Zahl der Französ*innen, die die Qualitäten der rechtsextremen Marine Le Pen positiv hervorheben, nimmt spürbar zu. Gleichzeitig sinkt die Zahl derer, die ihre Schwächen betonen, spürbar. Das zeigt eine Umfrage im Auftrag der Zeitung Libération. Fast ein Drittel (29 Prozent) findet, Le Pens Image habe sich verbessert. 60 Prozent halten sie für mutig, 43 Prozent für kompetent und 44 Prozent trauen ihr ohne weiteres zu, „nützliche Lösungen für das französische Volk zu finden“. Die Mehrheit hält Le Pen zwar weiterhin für autoritär (61 Prozent) und radikal (58 Prozent), aber diese Werte sind kleiner geworden, anders als die positiven Zuschreibungen.» 6
Durch Hamas Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 nahm die Wende fahrt auf. Le Pen erkannte die Gelegenheit: „Das Rassemblement national ist, glaube ich, heute für viele Franzosen jüdischen Glaubens, ein Schild gegen die islamistische Ideologie„. 7 Als am 12. September 2023 zum „Marsch gegen Antisemitismus“ aufgerufen und bekannt wurde, Vertreter der RN würden mitmarschieren, reagierte die Öffentlichkeit empört. Doch Klarsfeld eilte zu Hilfe und unterstützte die Teilnahme der RN mit den Worten: «Für mich ist die DNA der extremen Rechten der Antisemitismus. Wenn ich also sehe, dass eine große Partei, die aus der extremen Rechten hervorgegangen ist, dem Antisemitismus und der Holocaustleugnung abschwört und in Richtung republikanischer Werte marschiert, dann begrüße ich das» 8 Klarsfeld fügte hinzu «Auf die antizionistische und antisemitische Linke allerdings können wir verzichten. Der Rassemblement National ist salonfähig geworden und wir werden sie am Sonntag bei der Demo willkommen heißen.» 9 Alles, was Rang und Namen hatte, erschien zum Marsch. Mélenchon und seine Linkspartei LFI blieben aus Protest fern. Macron teilte mit, er sei in Gedanken dabei und beklagte das „unerträgliches Wiederaufleben eines ungezügelten Antisemitismus“. Macron hatte zuvor den Stopp der Bombardierung in Gaza gefordert 10 Parallel dazu äußerte sich der Filmregisseur Élie Chouraqui 11 positiv über die Teilnahme der RN auf BFMTV und nannte es „eine Chance für Frankreich“. 12 Der Spiegel titelte: „Der Tag, an dem Marine Le Pen für Juden wählbar wurde“. 13
Kurz nach Sylvester sagte der ehemalige Bildungsminister Luc Ferry in einem Interview auf Europe 1-CNews, Le Pen sei „weder rassistisch noch anitsemitisch“.14
Im März 2024 bekräftigte Serge Klarsfeld seinen Standpunkt und sagte, die RN sei nicht mehr judenfeindlich, er betrachte die Partei als Verbündete. Die Gefahr heutzutage seien radikale Muslime und eine Annährung zwischen Juden und RN sei unter den Umständen normal. 15 Ende Mai 2024 verlieh Macron den Klarsfelds bei seinem Besuch in Berlin hohe Auszeichnungen. „Die Deutsche Beate Klarsfeld (85) wurde zum Groß-Offizier der Ehrenlegion ernannt, der Franzose Serge Klarsfeld (88) erhielt das Großkreuz der Ehrenlegion.“ Macron lobte: «Sie sind Kämpfer für das Gedenken und Kämpfer für die Gerechtigkeit. Sie haben gegen das Vergessen gekämpft und dafür, dass die Opfer des Holocaust wieder zum Gegenstand der Geschichte werden, was unseren beiden Ländern ermöglicht hat, ihrer Geschichte ins Gesicht zu schauen“.» 16
Anfang Juni 2024, eine gute Woche vor der Europawahl, betonte Le Pen im Rahmen einer Europawahl Sendung auf dem Sender LCI, die damalige Front National ihres Vaters sei schon immer zionistisch gewesen. 17 Nach der Europawahl vor der Neuwahl des Parlaments, erklärte Serge Klarsfeld, sollte es zu einer Stichwahl zwischen RN und dem Linksbündnis NFP kommen, würde er, ohne zu zögern, für Le Pens RN stimmen: «Ich würde Rassemblement National wählen, weil ich mein Leben lang dafür gekämpft habe, die jüdische Erinnerungskultur, verfolgte Juden und den Staat Israel zu verteidigen und weil ich einer extremen Linken gegenüberstehe, die von La France Insoumise (LFI) beherrscht wird, die nach Antisemitismus stinkt und deutlich antizionistisch ist» 18
Manuel Bompard, scheidender LFI Abgeordneter, konterte, Klarsfeld habe Werte und Verstand verloren. Klarsfeld irre sich und solle sich zusammenreißen. Bompard wies darauf hin: «Keiner von uns, zum Glück übrigens, wurde jemals strafrechtlich verfolgt oder wegen antisemitischen Äußerungen oder Taten verurteilt. Dagegen gibt es im Rassemblement National, auch unter den Abgeordneten, die während der vorherigen Amtszeit in der Nationalversammlung saßen, Abgeordnete, die Buchhandlungen behielten, in denen Leugner Werke verkauft wurden. Das gibt es in La France insoumise (LFI) nicht» 19
Nach der Europawahl, eine Woche vor der ersten Runde der Parlamentswahlen, prophezeite Beate Klarsfeld in einem TAZ-Interview, im zweiten Wahlgang werde es nur zwei Blöcke geben: «Eine Linke, die anti-israelisch eingestellt ist, mit antisemitischem Beigeschmack. Und auf der anderen Seite eine Partei, die früher antisemitisch war und es jetzt nicht mehr ist. Manche bezweifeln, dass der Wandel ehrlich ist – ich nicht.» Für den RN Vorsitzenden Jordan Bardella, der in 2023 nicht bereit war Le Pens Vater für seine früheren Aussagen als Antisemiten zu bezeichenen, fand Klarsfeld entschuldigende Worte: «Naja, Bardella ist 28 Jahre alt. Seine Aussage war eine unüberlegte Reaktion, würde ich sagen. Chef der Partei ist immer noch Marine Le Pen, nicht Bardella.» Sie fügte hinzu: «Viele Jahre lang haben wir Anzeigen in den Zeitungen geschaltet: Figaro, Libération – gegen den RN, für Macron. Wir haben Macron von Anfang an unterstützt. Und wir werden ihn wieder wählen. Aber es ist doch gut, wenn eine Partei sich ändert. Die AfD ist zum Beispiel nicht bereit dazu. Alexander Gauland und Björn Höcke sind maximal antisemitisch. Sie haben gesagt, das Holocaust-Mahnmal sei eine Schande. Und sie hassen Israel.» 20
Tage vor der Neuwahl, Ende Juni befräftigte der RN Vorsitzende Jordan Bardella den Schutz für Irael und die französischen Jude: „Die Zweistaatenlösung ist durch die Gräueltaten und Anschläge der Hamas vorerst obsolet geworden, und heute einen palästinensischen Staat anzuerkennen, hieße, den Terrorismus anzuerkennen (…) Wenn das französische Volk mir morgen vertraut (…), werde ich ein Schutzschild für unsere Landsleute jüdischen Glaubens gegen den wachsenden Antisemitismus sein, der mit dem zunehmenden Druck eines radikalen Islams zusammenhängt, der nicht mehr hier ist, um sich von der französischen Gesellschaft abzugrenzen, sondern hier ist, um sie zu erobern.“ 21
Überraschend nahm auch Innenminister Gérald Darmanin die RN kurz vor der ersten Wahlrunde in Schutz: «Sie sind keine Rassisten, sie haben kulturelle Reflexe, die von der Ablehnung des Anderen inspiriert sind.» 22
Einen Tag vor dem ersten Wahlgang titelt The Times of Israel: „Bei den vorgezogenen Neuwahlen unterstützen viele französische Juden widerwillig die extreme Rechte gegenüber der gefürchteten extremen Linken. Während Macron die Wähler am Sonntag zu den Urnen schickt, haben prominente Juden angesichts des beispiellosen Ausmaßes an Antisemitismus nach dem 7. Oktober gezögert, eine Partei zu unterstützen, die von einem Holocaust-Leugner gegründet wurde“. 23 In dem empfehlenswerten Artikel wird über unterschiedliche Meinungen vor der Wahl berichtet.
Während der Wahlrunden fiel Israels Diaspora Minister Amichai Chikli durch Parteinahme auf. In einem Interview mit Reshet Bet Radio schwärmte Chikli, ein RN Wahlsieg wäre „exzellent“ für Israel und wies darauf hin, Le Pen habe im Novermber 2023 an dem „Marsch gege Antisemitismus“ teilgenommen und Macron nicht. Chikli sei beeindruckt von Le Pens entschlossener Haltung für Israels Recht, die Hamas zu vernichten. Netanjahu teile seine Ansichten, so Chikli, es handele sich nicht nur um seine persönliche Meinung. Netanjahu seinem Minister wiedersprach nicht. Ein israelischer Beamter, zuständig für die Beziehungen zwischen beiden Ländern, nannte Chiklis Verhalten eine „diplomatische Bombe“. 24
Ganz hat es Marine Le Pen noch nicht zur salonfähigkeit geschafft, denn ein großer Teil der Wähler lehnt sie noch entschieden ab, doch sie konnte sehr wichtige Unterstützer für sich gewinnen.
- Wikipedia: Jean-Marie Le Pen https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Marie_Le_Pen ↩︎
- Daily Motion: Ex-Lebensgefährtin von Jean-Marie Le Pen: „Er verbot den Kindern, den Holocaust anzusehen“ https://www.dailymotion.com/video/x2ln82s_l-ex-compagne-de-jean-marie-le-pen-il-interdisait-aux-enfants-de-regarder-holocauste_news#from=embediframe ↩︎
- Jüdische Allgemeine: »Le Pens Wähler sind frustriert« https://www.juedische-allgemeine.de/politik/le-pens-waehler-sind-frustriert/ ↩︎
- Jüdische Allgemeine: Umstrittene Auszeichnung https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/umstrittene-auszeichnung/ ↩︎
- PAZ: Ritterschlag für die französische Rechte https://paz.de/artikel/ritterschlag-fuer-die-franzoesische-rechte-a8019.html ↩︎
- Vorwärts: Wie Marine Le Pen und die Rechtsextremen in Frankreich hoffähig werden https://vorwaerts.de/international/wie-marine-le-pen-und-die-rechtsextremen-frankreich-hoffahig-werden ↩︎
- Radio France: Le Rassemblement national est-il l’ami des juifs? https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/le-billet-politique/le-rassemblement-national-est-il-l-ami-des-juifs-3659257 ↩︎
- Deutsche Well: Mit Fragezeichen: Le Pens Kampf gegen Antisemitismus https://www.dw.com/de/mit-fragezeichen-le-pens-kampf-gegen-antisemitismus/a-67367181 ↩︎
- Tagesschau: Vor Demo gegen Antisemitismus Streit statt Einigkeit in Paris https://www.tagesschau.de/ausland/europa/antisemitismus-frankreich-israel-hamas-nahost-100.html ↩︎
- NTV: Le Pen ist dabei, Macron nicht – 100.000 marschieren in Paris gegen Judenhass https://www.n-tv.de/politik/100-000-marschieren-in-Paris-gegen-Judenhass-article24526822.html ↩︎
- Wikipedia: Élie Chouraqui https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89lie_Chouraqui ↩︎
- Regisseur Élie Chouraqui: „Eine Chance für Frankreich“, wenn die RN am Marsch gegen den Antisemitismus teilnimmt https://x.com/BFMTV/status/1724148021871493512 ↩︎
- Spiegel: Der Tag, an dem Marine Le Pen für Juden wählbar wurde https://www.spiegel.de/ausland/paris-protest-gegen-antisemitismus-der-tag-an-dem-marine-le-pen-fuer-juden-waehlbar-wurde-a-003dd771-7ec0-460f-b779-9b21e5cc83a2 ↩︎
- Europe-1: „Macron n’a aucune espèce de conviction d’aucune sorte.“ https://youtu.be/rn0IMbxOdPw?si=Gnf5ILL7GHKtsOUA&t=637 ↩︎
- Tagesschau: Klarsfeld adelt Le Pens Partei https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-klarsfeld-lepen-100.html ↩︎
- Franken Post: Hohe Auszeichnung – Macron ehrt Nazijäger Beate und Serge Klarsfeld https://www.frankenpost.de/inhalt.hohe-auszeichnung-macron-ehrt-nazijaeger-beate-und-serge-klarsfeld.77ec76d1-23e5-4101-b4d0-deffea58dc91.html ↩︎
- „Die Front National war immer zionistisch“ Marine Le Pen auf LCI https://youtu.be/GMb9N-KclWc?si=t9_c4-PqutUzcemZ ↩︎
- Welt: Nazijäger Klarsfeld würde in Stichwahl Rechtspopulisten wählen https://www.welt.de/politik/ausland/article252057916/Frankreich-Nazijaeger-Klarsfeld-wuerde-in-Stichwahl-Rechtspopulisten-waehlen.html ↩︎
- Le Journal du Demanche: Face à La France insoumise, Serge Klarsfeld voterait “sans hésitation” pour le RN https://www.lejdd.fr/politique/face-la-france-insoumise-serge-klarsfeld-voterait-sans-hesitation-pour-le-rn-146455 ↩︎
- TAZ: Ehepaar Klarsfeld über Frankreich: „Ich kann nicht für die anderen kämpfen“ https://taz.de/Ehepaar-Klarsfeld-ueber-Frankreich/!6016087/ ↩︎
- Bardella: Die Zweistaatenlösung ist durch die Gräueltaten und Anschläge der Hamas vorerst obsolet https://x.com/talassanews/status/1805938593870774647 ↩︎
- Gérald Darmanin: Sie sind keine Rassisten https://x.com/realmarcel1/status/1805006273546473772 ↩︎
- The Times of Israel: In snap election, many French Jews reluctantly endorse far right over dreaded far left https://www.timesofisrael.com/in-snap-election-many-french-jews-reluctantly-endorse-far-right-over-dreaded-far-left/?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR3rkGPEA2L5_DnDb3qHyR5xjBjaqEM27rcFG9pVfRoLDb4UUmz7xSQ91Js_aem_cnCNI2vWt8l3thM5WralKQ ↩︎
- Haaretz: ‚A Diplomatic Bomb‘: Israel’s Diaspora Minister Rallied Behind Le Pen, and Israeli Diplomats Are Livid https://www.haaretz.com/israel-news/2024-07-08/ty-article/.premium/israels-diaspora-minister-rallied-behind-le-pen-and-israeli-diplomats-are-livid/00000190-918b-d443-adbe-b1dbca120000 ↩︎
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